Gender-Analyse zum Nahverkehrsplan 2020 der Region Hannover auf Grundlage der Verkehrserhebung Mobilität in Deutschland 2017 (MiD 2017)
im Auftrag der Region Hannover, Niedersachsen, D
in Zusammenarbeit mit Birgit Schmidtke, Dipl.-Ing. Architektin, Büro ppb Projektservice Planen und Bauen, Hannover

Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben ist Chancengleichheit bei der Nutzung von Mobilitätsangeboten. Tendenziell ergeben sich jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede u.a. beim Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr, die es zu erkennen gilt. Eine Gender-Analyse der MiD-Ergebnisse von 2017 sollte deshalb, parallel zur Neuaufstellung des Nahverkehrsplans (NVP) 2020 der Region Hannover, Aufschluss darüber geben, wie sich die Mobilitätsgewohnheiten der Menschen in der Region Hannover aktuell darstellen und welche Bedürfnisse dahinterstehen. Ob und in wieweit Alter, Geschlecht und Lebenssituation Einfluss haben, zeigen die in einer Broschüre zusammengestellten Analyseergebnisse. Durch welche Erkenntnisse Gender als Qualität steigernder Aspekt der Nahverkehrsplanung und damit zum „Verkehr des Guten Lebens“ beitragen könnte, wird zum einen anhand guter Beispiele aus anderen Verkehrsregionen Deutschlands verdeutlicht und zum anderen durch Maßnahmenempfehlungen für die Nahverkehrsplanung am Ende der Broschüre konkretisiert.

Bei der Auswertung der Mobilitätsdaten der hannoverschen Bevölkerung galt es, das vermeintlich Selbstverständliche zu hinterfragen und im Hinblick auf:

  • Geschlechtergerechtigkeit
  • Berücksichtigung unterschiedlicher Alltagsrealitäten
  • Differenzierung unterschiedlicher Anforderungen und Wünsche der Nutzer*innen
  • Gleichstellung von Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit sowie
  • Loslösung von Zuschreibungen und Rollenerwartungen

auf den ÖPNV und NVP anzuwenden. Ziel einer gendergerechten Nahverkehrsplanung ist es, alle Wegeziele gleichberechtigt für bestimmte Wegezwecke in einer angemessenen Wegezeit sicher und auf eine angenehme Art und Weise für alle erreichbar zu machen. Dies kann nur durch ein zielgruppenspezifisches Angebot sowie den Abbau von Barrieren erfolgen. Als Zielgruppen, die hinsichtlich ihrer soziodemografischen Merkmale und den sich daraus abzeichnenden Mobilitätsmustern und -strukturen signifikant und für den NVP relevant gelten, wurden die folgenden besonders untersucht:

  • Frauen auf dem Land
  • Frauen in der Familienphase (25-59 J.)
  • Erwerbstätige Männer in der Familienphase (25-59 J.)
  • Junge Erwachsene (18-24 J.)
  • Kinder und Jugendliche (unter 18 J.)
  • Senior*innen (über 65 J.).

Ergebnisse im Überblick

Der Zugang zur Mobilität kann durch Einschränkungen und Barrieren beeinflusst werden. Die Gesundheit, die PKW-Verfügbarkeit und der Führerscheinbesitz sind entscheidende Kriterien.

Mobilitätsmuster und -strukturen passen sich diesen Voraussetzungen an, denn die jeweiligen Alltagsrealitäten bestimmen das Mobilitätsverhalten – Ein Beispiel: Frauen aus Haushalten mit Kind(ern) legen viele kurze Wege zurück. Ob alleinerziehend (4,6 Wege pro Tag in 82 Minuten) oder in Partnerschaften (3,5 Wege pro Tag in 78 Minuten), die Prägung der Lebenssituation durch Versorgungsarbeit und/oder Teilzeitbeschäftigung erfordert viel Zeit auch für kurze Entfernungen – von 2,7 Min/km (in Partnerschaft) bis hin zu 4,1 Min/km (Alleinerziehende). Männer in der gleichen Lebenssituation sind ganz anders unterwegs, sie fahren mit 60km im Durchschnitt die weitesten Strecken und brauchen dafür „nur“ 95 Minuten pro Tag, das sind 1,6 Min/km. Hintergrund ist u.a. die unterschiedliche Verkehrsmittelwahl, denn Frauen gehen mehr zu Fuß und Männer nutzen häufiger den PKW, aber auch der Wegezweck und die Verknüpfung von Wegen spielen eine Rolle.

Erwerbstätigkeit erfordert Mobilität – Teilzeit Erwerbstätige legen die meisten Wege zurück, dies sind in der überwiegenden Zahl Frauen. Sie sind mit 93% die mobilste Erwachsenengruppe.

Wegezwecke – Eklatante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen bei den Wegezwecken besonders im erwerbsfähigen Alter von 25-59 Jahren. Außerhalb der Berufstätigkeit werden in dieser Altersgruppe 43% der Wege der Frauen für Einkauf, Erledigung und Begleitung genutzt, die der Männer lediglich zu 24% bis 33%.
Begleitwege nehmen bei den Frauen zwischen 25 und 44 Jahren 15% der Wege ein. Bei den Männern lediglich 6%. Damit hat sich seit der letzten Verkehrserhebung 2002 für die Familienfrauen in der Region Hannover nichts verändert! Darüber hinaus wurden die Wegezwecke in der vorliegenden Gender-Analyse erstmals auch in Bezug auf deren Versorgungsbedeutung ausgewertet. Hier liegen die Frauen weit vorne, durchschnittlich verwenden sie 17% ihrer Wege für Versorgungsarbeit, bei Frauen mit Kind(ern) im Haushalt erhöht sich der Anteil auf 28%. Bei Männern nur von 11% auf 14%. Das heißt auch, dass Männer nach wie vor „gewinnbringender“ unterwegs sind als Frauen.

Um Gender als Qualität steigernden Aspekt in den Nahverkehrsplan 2020 einzubringen, werden in der Broschüre Forderungen formuliert. Diese reichen von der Ausrichtung auf Zielgruppen über die Berücksichtigung von Versorgungswegen bis zur Unterstützung der Verknüpfung von Wegen zu Ketten durch qualitätvolle ÖPNV-Angebote.

Handlungs- und Maßnahmenansätze runden die Broschüre ab – Ein Überblick:

Mehr Partizipation – in Form von zielgruppenspezifischen Beteiligungsangeboten besonders im Umland und den ländlichen Teilen der Region.

Bedarfsverkehre als Bedienkonzept – egal ob nach Fahrplan oder auf „Zuruf“. Kombinationen mit Daseinsvorsorge und Versorgung sollten das Denken beflügeln. Der sog. „Sprinti“ geht als On-Demand-Angebot 2021 in die Testphase.

Angebotserweiterungen speziell „über Land“ – SprintH-Linien ausweiten und qualitativ verbessern.

Mobilitätspunkte über die Region verteilen – Mobilitätspunkt könnte der Name für eine regionsweit neue Kombination von anspruchsvollen ländlichen Mobilitätszentralen mit Versorgungs- und Treffpunkten sein. Hier werden sämtliche Mobilitätsangebote räumlich und funktional miteinander vernetzt und zusätzlich bedarfsgerechte Angebote der Nahversorgung bis hin zur Funktion eines Treffpunktes angedockt. Integrierte Liefer- und Paketstationen helfen dabei, Wege zu vermeiden.

Mehr Sicherheit auf allen Ebenen – Spezifische Sicherheitsbedürfnisse der Nutzer*innen müssen wahrgenommen und schnell berücksichtigt werden.

Experimente starten zur Attraktivitätssteigerung im ÖPNV und für mehr Lebensqualität in ländlichen Räumen. – Mobilitätspunkte in S-Bahnstationen und Alternativen zum Elterntaxi, die vor Grundschulen für Entschleunigung und mehr Verkehrssicherheit sorgen, könnten den Anfang machen.

Die Broschüre Mobilität für alle – gleichberechtigt mobil kann hier heruntergeladen werden.